Anglo-Scandinavion Cardiac Outcomes Study - Lipid Lowering Arm (ASCOT-LLA , April 2003)
Statistischer Steckbrief

(das Studien-Zertifikat des Grundversorgers "von unten nach oben" bzw.
ein Plädoyer für eine einheitliche Kurzdarstellung von Studienresultaten)
CHK-PRIMÄRPRÄVENTIONSSTUDIE (Intention-to-treat, Multicenter) bei 10305 Hypertoniker des LLA mit zusätzlich mindestens 3 Risikofaktoren und einem nicht nüchternen Cholesterinspiegel ≤ 6.5 mmol/l im Alter von 40-79 Jahren (median 63 J , 95% Weisse , 18.8% Frauen) zur Untersuchung der Effizienz von 10 mg Atorvastatin in der Primärprävention von tödlicher und nicht tödlcher koronarer Herzkrankheit (CHD). (Sever PS et al; Lancet 361, 5. April 2003: 1149-58)
Im Prüfarm mit 10 mg Atorvastatin (Sortis) pro Tag reduzierten sich die primären Endpunktereignisse gegenüber Plazebo innert einer Studienlaufzeit von median 3.3 Jahren signifikant (100/5168 vs 154/5137). Die erreichten Blutdruckwerte waren in Verum- und Placebogruppe gleich (im Mittel 138.3/80.4 vs 138.4/80.4), ebenso die Lipid- & Glucosewerte, BMI und Nierenfunktion. Die Gesamtmortalität unterschied sich nicht signifikant (185/5168 vs 212/5137). Die Studienlaufzeit betrug median 3.3 Jahre und wurde bei hoher Signifikanz vorzeitig abgebrochen (geplant waren 5 Jahre).
Primärer Endpunkt waren das Auftreten von tödlichen KHK und nichttödlichen Myokardinfarkten (inkl. stummer Infarkte).
In die Studie eingeschlossen wurden Patienten gemäss den Einschlusskriterien von ASCOT (40-79 Jahre, unbehandelter Hypertonie zum Zeitpunkt der Randomisation von ≥ 160 mmHg systolisch und/oder ≥ 100 mmHg diastolisch, Cholesterin ≤ 6.5 mmol/l und nicht Statin-/Fibrat behandelt). 3 der kardiovaskulären Risikofaktoren (LVHypertrophie, andere EKG-Veränderungen, Typ2-Diabetiker, PAVK, St.n. TIA und Stroke, männliches Geschlecht, Alter ≥ 55 J, MAU oder Proteinurie, Raucher, TC/HDL ≥ 6, vorzeitige CHK in Familienanamnese, also die üblichen CVD-RiFa der Hypertonie-Stratifizierung) mussten unbedingt vorhanden sein.
Von der Studie ausgeschlossen wurden Patienten mit
• Myokardinfarkt, Angina-Behandlung oder zerebrovaskulärem Ereignis innerhalb der letzten 3 Monaten vor der Randomisation
• TGL ≥ 4.5 mmol/l
• Herzinsuffizienz
• unkontrollierten Arrhythmien
• relevanten hämatologischen oder biochemischen Befunden im Routinelabor


Statistischer Steckbrief: berechnet anhand des Risikokalkulators www.kardiolab.ch/riskcalc_JSI.html
ASCOT-LLA(Sortis) "krank" k "gesund" g QuerSumme
Risiko
Rate
(risk)
Risiko
Odds
(hazard)
Hypothesen testen mit
Fisher's exact Test
Chi2-Test
Atorvastatin 10 mg/d
x 3.3 J
mk
100
mg
5068
QS1=mk + mg
5168
R1=mk/QS1
0.0193
[0.0159;0.0235]
H1=mk:mg
0.0197
 
  
Placebo : ok
154
og
4983
QS2=ok+og
5137
R2=ok/QS2
0.0300
[0.0257;0.0350]
H2=ok:og
0.0309
 
Signifikanztest
H0 ablehnen
 
SenkrechtSumme SS :
Hypothese H0

"Urne"
SS1=mk+ok

254
SS2=mg+og

10051
TOTAL

10305
PV=SS1/TOTAL

0.0246
[0.0218;0.0278]
PV=SS1:SS2

0.0253
 
Fisher's
p = 0.0003054
Fehler 1.Art
α = 0.000305
2α= 0.000610
Sicherheit
1-α = 0.999695
Χ2 = 11.667925

    p(2α) <0.001
Odds O
und Risiko-
Relationen
O1=mk:ok
0.6494
O2=mg:og
1.0171
Odds Ratio
OR=O1/O2
0.6385
[0.4949;0.8237]
Relatives Risiko
RR=R1/R2
0.6455
[0.5033;0.8277]
Hazard Ratio
HR=H1/H2
0.6385
wie OR
  
δ-Kollektiv
hypothetisches
"Placebo mit H0-Aequivalenz"
δk_A
127
δg_A
5010
δQS_A
5137
δR_A
0.0247
[0.0208;0.0293]
  Aequivalenztest
HA ablehnen bzw.
H0 beibehalten
 
Verum + δ-Kollektiv
Hypothese HA
SS1_A

227
SS2_A

10078
TOTAL_A

10305
PV_A

0.0220
[0.0194;0.0250]
  Fisher's
p = 0.0365588
power
1-β = 0.9634
Fehler 2.Art
β = 0.0366
 


In welcher Risikowährung (risk R oder hazard H) soll man den Risikovergleich in Random Control Studien (RCS) vornehmen ?

Risiko-Relationen   Risiko (risk, R)   Risiko (hazard, H)   Kennzahlen für
Primären Endpunkt
im Lancet-Reprint
Relatives Risiko   Relative Risk R1/R2
RR = 0.6545
[0.5033;0.8277]
   Hazard Ratio
HR = 0.6385
[0.4949;0.8237]
   HR = 0.64
[0.50;0.83]
Relative Risikoreduktion   Relative Risk Reduction
(R2-R1)/R2 = 1-RR
RRR = 0.3545
   Relative Hazard Reduction
(H2-H1)/H2 = 1-HR
RHR = 0.3615
   RHR = 0.36
Absolute Risikoreduktion   Absolute Risk Reduction
R2-R1
ARR = 0.0106
   Absolute Hazard Reduction
H2-H1
AHR = 0.0112
   nicht erwähnt
Number Needed to Treat   1/ARR
NNT = 94.08
   1/AHR
NNT = 89.49
   nicht erwähnt

Analog der Finanzwelt, die die Ertragskraft eines Konzerns auf verschiedenen Ebenen (EBIT, EBITD oder EBITDA) beschreibt und man sich Klarheit darüber verschaffen muss, welchen Parameter genau nun man eigentlich beim Studium von Konzernbilanzen beurteilt, sollte man sich in der Risikostatistik bei der Bewertung einer so zentralen Kennzahl wie die NNT Klarheit verschaffen, in welcher Risiko"währung" (Risk bzw. Odds oder Hazard) diese berechnet wurde. Wenn also der Begriff "AHR" (absolute Hazard Reduction) in den Studien üblicherweise nie oder einfach unter dem Begriff ARR (absolute Risikoreduktion) angewandt wird, wäre es vielleicht an der Zeit, diesen (sofern man mit Hazards rechnet) an Stelle von ARR zu benutzen. Zur Veranschaulichung, welch unterschiedliche Werte je nach gewählter "Risikowährung" die zentralen Kenngrössen NNT und RRR annehmen können, bediene man sich des folgenden Risikokalkulators.

RISIKOKALKULATOR : Anhand der beiden Risikokennzahlen RRR und NNT lässt sich die Risikosituation adäquat beschreiben. Die Relative Risikoreduktion (RRR) ist ein Mass für die Wirkungspotenz (bzw. das Schadenspotential bei negativen Werten) eines Medikaments. Die Number Needed to Treat (NNT) ist ein Allokationsmass, das von der Grösse des Bezugsrisikos (R2 bzw. H2, Plazebo) abhängt ("Inzidenz-Abhängigkeit von NNT"). Sie gibt an, wie viele Patienten behandelt werden müssen, bis ein Endpunktereignis eintritt. Eine negative NNT entspricht einer Number Needed to Harm (NNH). Die Berechnung dieser Kennzahlen in der Odds-Währung (hazard) überzeichnet gegenüber deren Berechnung in der Risk-Währung die Wirk-/Nebenwirkungspotenz eines Medikamentes.

Risiko -
"Währung"
  Bezugs-Risiko
(Placebo)
  Relative
Risikoreduktion
(Wirkungsgrösse)
  Number Needed
to Treat
(Allokationsgrösse)
  Risiko
(Verum)
  Kalkulation  Results
   
Risiko als Rate
risk , R
  R2
  RRR
  N N T
  R1
 
Risiko als Odds
hasard , H
  H2
  RHR
  N N T
  H1
 
LEARNING POINTS:
• Bei der Bewertung von statistischen Risiken sollte man sich unbedingt Klarheit darüber verschaffen, in welcher Risiko-Währung "Risikoraten (risk) bzw. Risiko-Odds (hazard)" sie berechnet wurden. Dies gilt besonders für die Gewichtung der relativen Risikoreduktion (RRR, Wirkparameter) und der Numbert-to-Treat (inzidenzabhängiger Allokationsparameter).
• Eine statistische Studienbewertung allein aufgrund des Signifikanz-Testes ohne Kenntnis von β-Fehler und power ist unvollständig.

Die Mathematische Beziehung zwisch den "Risikowährungen" risk (R, die gewohnte Denkweise im deutschsprachigen Raum) und odds (O, vor allem angelsächsischer Raum)
lautet → 0 = 1/((1/R)-1) bzw. R = 1/((1/0)+1) ,
gilt aber nicht für deren Risikorelationen RR und OR !!
Risiko-Währungswandler , bidirektionaler Rechner : Das leere Eingabefeld wird berechnet ! Risiko in absoluten Zahlen und nicht in Prozenten eingeben.
risk R =     odds O =    


Ist die vergleichende Beurteilung der Wirkungspotenz eines Arzneimittels oder einer sonstigen therapeutischen Intervention anhand der Relativen Risikoreduktion (RRR) in verschiedenen Studien mit vergleibaren Endpunkten zulässig ?
Darstellung der Interaktion zwischen der relativen Risikoreduktion (RRR) als Parameter für die Wirkpotenz einer (Arzneimittel-)Intervention und des statistischen Messergebnisses (Signifikanz) als entscheidendes Kriterium zum Studienabbruch. Die mathematische Beschreibung dieser Interaktion bzw. gegenseitigen Abhängigkeit liesse sich mit Hilfe der Kalkulation eines simplen "Effizienz-Indexes" = RRR/Referenzrisiko pro 1000 Patientenjahre auf eine einfache und leicht verständliche Art bewerkstelligen.
Studie riskrates
(1)Verum
(2)Placebo

RR=1-RRR
NNT

RRR=1-RR
R2
RRR/R2
PatTotal(P)
StudienLZ(J)
PatientenJahre(PJ) Χ2
α-Fehler
Power
EFFIZIENZ-INDEX
Endpoints
ASCOT-LLA CHD
(1) 100/5168
(2) 154/5137
 0.6545 RR
 94.08 NNT
RRR 
  R2 

11.67
0.000305
0.999695
ASCOT-LLA CVD
(1) 389/5168
(2) 486/5137
 0.7956 RR
 51.71 NNT
  0.2044   RRR
  0.0946   R2
2.1607 10305 P
3.3
34006.5 12.15
0.000243
0.960804
0.0635 CVD
(1) 105/500
(2) 150/500
 0.7000 RR
 11.11 NNT
  0.3000   RRR
  0.3000   R2
1 1000 P
1 J
1000 10.19
0.000692
0.950148
1 Studie 1
(1) 105/5000
(2) 150/5000
 0.7000 RR
 111.1 NNT
  0.3000   RRR
  0.0300   R2
10 10000 P
1 J
10000 7.79
0.002578
0.918559
1 Studie 2
(1) 10 / 500
(2) 15 / 500
 0.6667 RR
 100.0 NNT
  0.3333   RRR
  0.0300   R2
11.11 1000 P
11.11 J
11110 0.66
0.209213
0.585034
1 Studie 3
(1) 180/750
(2) 225/750
 0.8000 RR
 16.67 NNT
  0.2000   RRR
  0.3000   R2
0.67 1500 P
1 J
1500 6.55
0.005225
0.893367
0.4444 Studie 4
Risikorelation (RR) und Relative RisikoReduktion (RRR) verschiedener Studien als Parameter für die Wirkpotenz von Arzneimitteln oder andern therapeutischen Interventionen sind nur bedingt miteinander vergleichbar.
Rein statisch betrachtet ist die relative Risikoreduktion (RRR) natürlich ein Massstab für die Wirkpotenz eines Arzneimittels. Aus der zeitdynamischen Sicht einer Studie ist die RRR jedoch nur mittelbar ein Parameter für die Wirkpotenz, zunächst einmal lediglich eine Risikodifferenz zwischen zwei Kurven kumulierter Inzidenzen zum Zeitpunkt des Studienabbruchs (aus ethischen Gründen) beim Unterschreiten der zum Voraus gesetzten Signifikanzschranke und als solche massgeblich beeinflusst durch das Referenzrisiko (R2), der Patientengesamtzahl (P) in der Studienpopulation und der Studienlaufzeit (J).
Im hypothetischen Beispiel "Studie 1" wird wegen des hohen Referenzrisikos (R2) auch mit relativ geringen Patientenzahlen frühzeitig die Signifikanzschranke bei hoher power unterschritten und die Studie vorzeitig abgebrochen. Vorstellbar wäre, dass bei längerer Studienlaufzeit eine höhere RRR resultieren würde (der Ferrari getestet auf der geschwindigkeitsbeschränkten CH-Autobahn).
Im Studienbeispiel 3 würde aus statistisch-mathematischen Gründen die Studie nie abgebrochen, da die Patientenzahl in Relation zum Referenzrisiko (R2) zu klein gewählt wurde. Nach einer 11-jährigen Studienlaufzeit würde man eine höhere RRR allerdings nicht mehr erwarten.
SCHLUSSFOLGERUNG :
• bringt man nicht simultan zu den Inzidenzkurven auch den Kurvenverlauf der relativen Risikoreduktion zur Darstellung, anhand welchem man entscheiden könnte, ob sich die RRR mit einem zur Zeitachse wagrechten Kurvenverlauf zum Zeitpunkt des Studienabbruches in einem "Steady-State" befindet oder nicht (gedacht auch als Anregung für den Pharmareferenten bei der Präsentation von Studienresultaten), so lassen sich in der Beurteilung von Wirkpotenzen eigentlich nur die RRR von Studien mit vergleichbarer Grösse, power und Signifikanzschranken direkt miteinander vergleichen.
• Aus den gleichen Gründen müssen bei Metaanalysen die Daten neu gepoolt ausgewertet und nicht einfach die gelisteten Risikorelationen der Einzelstudien miteinander verglichen werden. Analog bleibt auch die Auswertung von sekundären und tertiären Endpunkten bei Studienuntergruppen bezüglich quantitativer Wirkangaben ein fragwürdiges Unternehmen.
• Bei dieser Gelegenheit sei nochmals festgehalten, dass es sich bei den immer wieder abgebildeten CI-Intervallen um Grenzen für die zufallsbedingte Variabilität von Risikorelationen handelt und nicht um Grenzen für die wirkstoffbedingte Wirkpotenz eines Arzneimittels. Weiterhin sei darauf hingewiesen, dass der Begriff "power" korrekterweise nicht einfach der Patientenzahl gleichgesetzt werden kann, wenn dies auch im alltäglichen Sprachgebrauch häufig getan wird.
• Für die oben beschriebenen Berechnungen eignen sich Risikoraten (riskrates) besser als Hazardratios, da die Signifikanz-Teste (Χ2 und Fisher's exact) mathematisch ebenfalls gemäss einem Risikoraten-Konzept strukturiert sind. Zwecks einheitlicher Darstellung von Risikorelationen plädiere ich deshalb für die Umrechnung von Hazardratios in Riskrates mit Hilfe des "Risikowährungswandlers". Dazu muss allerdings die zugehörige NNT in Oddswährung bekannt sein.


BEMERKENSWERTES zu einigen Studienresultaten :
• Unter den sekundären Endpunkten wurde u.a. auch der Einfluss von 10 mg Sortis auf das CVD-Risiko (tödliche und nicht tödliche Ereignisse) ausgewertet. Unter Sortis reduzierten sich die CVD-Events insgesamt signifikant um 20.44% gegenüber Placebo (389/5168 vs 486/5137, NNT = 51.71, Χ2 = 12.15, α = 0.000243).
• Die Nebenwirkungsraten (schwerwiegende unerwünschte Ereignisse und Transaminasen-Abnormalitäten) unterschieden sich im Therapiearm gegenüber Placebo nicht signifikant. 1 Fall von nicht letal verlaufender Rhabdomyolyse in der Atorvastatingruppe trat bei einem chron. Alkoholiker mit kürzlich durchgemachtem fieberhaftem Infekt auf.


FAZIT :
Mächtige 3.3-Jahres-CHD-Primärpräventions-Studie, welche eine primärpräventive 35% Risikoreduktion einer nicht hochtitrierten Atorvastatindosis von lediglich 10 mg/die nachweist und vorzeitig abgebrochen wurde (geplant waren 5 Jahre). Die hohe NNT von 94 erklärt sich durch die extrem niedrige CHK-Inzidenz von lediglich 3% / 3.3 Jahre im Placeboarm in einer nota bene antihypertensiv behandelten Studienpopulation, welche bei linearer Extrapolation einem 9 %igen 10-J-CHD-Risiko entspräche (low-risk-Gruppe gemäss PROCAM; eine sogenannte niedrig-Risikogruppe, aus welcher sich aber immer noch 1/3 aller Myokardinfarkte rekrutieren). Betrachtet man allerdings die CVD-Eventrate (vergl. sekundäre Endpunkte) von insgesamt 9.5% / 3.3 J im Placeboarm (= 28.5 % / 10 J), so entspricht die Studienpopulation der high-risk-Gruppe in der klinischen Risikostratifizierung gemäss ESH-ESC-Guidelines 2003. So betrachtet also eine interessante und aussagekräftige Studie, die den Statinbenefit etwas verblüffend in einem Streich gleich in zwei entgegengesetzten Risikogrenzbereichen auslotet.

Dr. med. Franz Paul Ackermann-Ball
Spezialarzt FMH für Innere Medizin
Ziegelfeldstr. 30 , CH-4600 OLTEN
franzackermannball@freesurf.ch

2.10.2005